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Ein Hochamt ? Ende des Jahres 2004 erschien im deutschen Magazin Der Spiegel (53/2004) ein Artikel unter dem Titel „Abschied vom Hochamt“, worin Symphoniekonzerte als „philharmonische Andacht“ beschrieben und weitgehend als überlebt bewertet werden. Ferner finden anders umgesetzte Konzertformen Erwähnung, die möglicherweise zu diesem „weihevollen Muff“ ein Gegengewicht darstellen könnten. Auf jeden Fall verleiht der besagte Artikel dem Bild des Hochamtes in Bezug auf ein Symphoniekonzert den allgemeinen Status von Abgestandenem. Was aber, wenn man versucht, dem Symphoniekonzert mit dem Bild des Hochamtes etwas Positives abzugewinnen? Was ist ein Hochamt? Im Wörterbuch wird es als feierliche Form der katholischen Messe umschrieben. Etwas aus der Welt der Religionen also. So viele unterschiedliche Religionen es geben mag, sicher darf man ihnen allen das gemeinsame Bestreben nach innerem Frieden bescheinigen. Die entsprechenden Handlungen dieses Bestrebens mögen sich je nach Religion stark unterscheiden. Hingegen ist die mit den unterschiedlichen Handlungen eingeschlagene Richtung letztendlich bei allen dahingehend gleich, Erlebnis auslösende Wirkungen in der menschlichen Innenwelt erzeugen zu wollen. Folglich haben Introversion und damit Innerlichkeit einen markanten Anteil bei der Ausrichtung der diversen religiösen Handlungen. Analysiert man eine aus religiösen Handlungen entstandene Wirkung, so resultiert daraus ein bestimmtes Erlebnis-Segment. Dabei sind Diskussionen über mögliche alleinige Wahrheitsansprüche innerhalb einer Religion tunlichst zu vermeiden. Es soll lediglich wertfrei als eine von Innerlichkeit umfasste Handlung konstatiert werden. Das ermöglicht, im besagten Segment auch ausserreligiösen Handlungen Platz einräumen zu können. Handlungen einfach, die im Erlebnis-Segment der Innerlichkeit eine Wirkung haben. Oder, Handlungen aus deren Wirkung innerer Raum entsteht. … Innerlichkeit gleich innerer Raum… Bei allem darf man nicht vergessen, dass Handlungen als solche von jeder und jedem unterschiedlich wahrgenommen und ebenso unterschiedlich empfunden werden. Als Zielgruppe sowie als Ansprechpartner werden im weitesteten Sinne die Menschen erfasst, die an Innerlichkeit fördernden Handlungen interessiert sind, diese suchen und entsprechend zu schätzen wissen. Darum ist es unerlässlich, das dazugehörende Anforderungsprofil genauestens zu kennen und sich damit auseinander zu setzen. Zum erwähnten Anforderungsprofil gehört sicher einmal, dass die einschlägigen Handlungen in optimalem Umfeld geschehen können. Gemeint ist unter anderem die erforderliche Ruhe in der unmittelbaren Umgebung des Geschehens, welche sowohl Konzentration als auch Kontemplation zulässt. Dass so etwas eher mit ernstem Gesicht aufgenommen wird und deswegen eine gewisse Feierlichkeit nach sich zieht, soll nicht stören oder bleibt sekundär. Ernst muss nicht gleichbedeutend mit steif sein. Wird des öfteren darauf hingewiesen, dass in der Mitte des 19. Jahrhunderts während der Symphoniekonzerte „parliert“ und häufiger applaudiert wurde, womit angeblich eine weitaus lockerere Stimmung geherrscht haben soll, so muss man auch sagen, dass damals das allgemeine Unterhaltungsangebot bescheidener war. Discos und Stadien füllende spektakuläre Popveranstaltungen gab es nicht; ebenso wenig die Unterhaltungsindustrie in Form von Kinos, Video-Tonträgern, Radio und Fernsehen. Der Unterhaltungsbedarf war ganz anders gelagert. Beispielsweise waren in Mitteleuropa die Kirchen noch bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts berstend voll. Wahrscheinlich nicht zuletzt auch deshalb, weil man sich mit der solcherart gebotenen „Unterhaltung“ zu begnügen hatte. Im Lauf der Geschichte wird somit eine Segmentierung des Unterhaltungsangebots ersichtlich. Rein unterhaltende Komponenten wurden zunehmend in eigens dafür entstandenen spezifischen Erlebnis-Segmenten vermarktet, was mitunter eine gewisse Auslagerung derselben bei traditionellen Gemeinschaftsveranstaltungen nach sich gezogen hat. Geschah dies zum Vor- oder Nachteil von Veranstaltungen, die eher dem Erlebnis-Segment der Innerlichkeit zugeordnet werden können? Gedanken darüber lohnen sich. Jedoch wird es sicher seine Gründe haben, warum nach und nach beim Symphoniekonzert die Komponenten der Andacht an Bedeutung zugenommen haben. Ist es somit nicht eine Überlegung wert, im Wertekatalog des Symphoniekonzertes die „Andachts-Komponente“ höher zu einzustufen? Eher als Ballast für das heutige Symphoniekonzert erscheinen mir Ideale, die aus dem 19. Jahrhundert stammen. Dazu gehören Wertvorstellungen, die vor allem Vergötterung der virtuosen Sensation sowie schwärmerischen Geniekult zur Grundlage haben; oder das Suggerieren von Kennerschaft. Mit Forderungen nach mehr Unterhaltung wird man kaum den gewünschten Erfolg haben. Dagegen verspreche ich mir mehr Erfolg von einer Neupositionierung der Innerlichkeits-Komponente. Dazu gehört die Erkenntnis über die Bedeutung, wie eine Handlung gerichtet ist. Wie Handlung und Wirkung beschaffen sein können, gehört demnach zwingend in die Richtschnur der Empfehlungen. Im Fall des Symphoniekonzertes geht es um eine Hörerschar, die von einer gemeinsamen Klangquelle versorgt werden. Durch die Handlung des Musizierens sowie des Zuhörens kann in jedem Individuum Musik entstehen und der in der eigenen Innenwelt entstehende Raum. Und schon sind wir wieder bei der Innerlichkeit angelangt, die man durchaus propagieren darf. © Daniel Schweizer, August 2005 |
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